großartig, dass du den nötigen Weitblick hattest, mir zu schreiben, obwohl du gerade so im Stresstunnel steckst. Natürlich helfe ich dir gerne mit deinem Problem. Ich kenne das Gefühl schließlich auch: diese Momente, in denen dein Blickfeld gefühlt immer enger wird, weil der Stress exponentiell zunimmt und dir alles über den Kopf wächst.
Was sich da in deinem Körper abspielt, geht nämlich einen Schritt zu weit. Lass es mich dir an einem Beispiel verdeutlichen: Vor Kurzem stand ich wieder einmal im Musée d’Orangerie in Paris. Ein wundervoller Ort, an den ich immer wieder gerne zurückkehre! Dort hängen acht riesige Bilder des Künstlers Claude Monet, teilweise bis zu 17 Meter lang. Der Weitblick, den es benötigt, um diese Bilder in Gänze zu erfassen, ist zunächst völlig unmöglich!
Zu Beginn fiel mein Blick immer wieder auf Details: eine Seerose, ein Baum, ein besonders dicker Pinselstrich. Das ist ganz ähnlich wie bei dir, liebe Steffi, wenn du im Meeting sitzt und dein Kopf sich an dieses eine Detail, diesen einen Störenfried klammert – während dein Blick immer weiter zusammenschrumpft.
Das sage ich dir, weil viele Coachees mir immer wieder mit diesem Argument kommen. „Ich fokussiere mich eben!“ Pustekuchen! Gegen einen gesunden Fokus ist ja nichts einzuwenden, meist passiert aber etwas ganz anderes: Je weiter der Druck steigt, desto mehr rutscht dein Fokus, deine konzentrierte Betrachtung eines Sachverhalts, ab in einen gefährlichen Tunnelblick. Dein Weitblick verabschiedet sich also stufenweise, bis er sich in einer Fixierung zuspitzt, die dich nichts mehr rechts und links vom Weg wahrnehmen lässt.
Mit stressigen Situationen verhält es sich aber eben wie mit einem wunderschönen Monet: Du kannst sie erst sinnvoll erfassen und beurteilen, wenn du sie mit dem nötigen Weitblick in Gänze betrachten kannst. Das Schöne ist: Das kannst du trainieren.
Denn dein gedanklicher Weitblick ist eng verknüpft mit dem rein physischen Blick deiner Augen. Teste
das ruhig einmal aus: Wenn du beispielsweise am PC merkst, die deine Augen sich immer mehr an diesen
einen vermaledeiten Absatz im Geschäftsbericht klammern, dann entspanne bewusst deine Augenpartie. Lass die Stirn weich werden und du wirst sehen, wie dein Sichtfeld ganz allmählich aufgeht. Wie du erst den ganzen Bildschirm, dann den Schreibtisch und schließlich den ganzen Raum um dich herum im Weitblick wahrnimmst. Das tut nicht nur deinen überfokussierten Augen gut, sondern schenkt auch deinem Gehirn mehr Platz zum Denken. Schön, nicht wahr?
Fokus ist toll, wenn du einen Brief verfasst, eine Tasse abspülst, beim Fußball einen Elfmeter verwandeln willst. Aber sobald die Situation komplexer wird, wirst du ohne Weitblick nicht weit kommen. Dein
Weitblick hilft dir, dich zu orientieren, Muster und Zusammenhänge zu erkennen, einzelne Momente und Gedanken in den Gesamtkontext einzuordnen. Es ist dieser Weitblick, der dich Chancen und Möglichkeiten sehen lässt und mit dem du kreativ sein kannst.
Darum, liebe Steffi, gönne dir ab und an ruhig ein bisschen Tagträumerei. Lass den Blick schweifen, entspanne bewusst deine Augenmuskulatur und freu dich darauf, dass dein wohltuender Weitblick zurückkehrt. Ich bin sicher, er wird dir direkt viel von deinem Stress nehmen.
Viel Spaß beim Experimentieren wünscht dir