die fünfte Jahreszeit, Fasching, ist gerade wieder vorbei. Für die einen ist diese Zeit die Freude, für die anderen das Ärgernis des Jahres. Du scheinst nicht in Schwarz-Weiss-Schablonen zu denken. Denn du fragst mich, warum wir Fasching nur an sechs Tagen feiern – und dann oft so nervig.
Deiner Frage entnehme ich, dass du einerseits das Brauchtum irgendwie bejahst und zudem gar bedauerst, dass es nur einmalig im Jahr stattfindet. Andererseits geht dir das Treiben, salopp gesagt, auch gehörig auf die Nerven.
Ich finde die Idee dahinter ganz wunderbar. Die Ausgelassenheit, Lebendigkeit, das bunte Treiben und Feiern, das alles hat seinen Reiz. Allerdings stören mich so manche Auswüchse, und manches schreckt mich auch ganz einfach ab – wie das Trinken bis zum Umfallen und die völlige Distanzlosigkeit. Vielleicht ist es auch das, was dich, liebe Ina, an Fasching nervt. Doch die Frage nach den Auswüchsen lässt sich nur schwer beantworten – und ich bezweifle, dass sich da groß etwas ändern lässt. Viel interessanter und bedeutsamer ist die Frage, die du ja auch aufwirfst:
Es gibt so viele herrliche Momente in diesem Treiben: die Vielgestalt der Masken und Verkleidungen, Helles und Dunkles, die kraftvolle dämonische Seite und die Heiterkeit der Narretei. Ausserdem: Alles darf sein, alles fliesst und verbindet sich!
Es wäre wunderbar, wenn wir uns auch jenseits des Faschings dieser Dinge bewusst würden. Beispielsweise Maskerade: Trage ich im Alltag eine Maske? Wenn ja, und ich bin mir sicher, dass jeder Masken trägt, wann und wo trage ich sie? Bin ich vielleicht gar hinter meiner Maske erstarrt? Oder bin ich schon zu einer Maske geworden? Im Alltag, im Beruf oder in der Familie? Was verstecke ich hinter der Maske? Machen Masken auch Sinn? Bin ich noch in der Lage, zu entscheiden, wann ich eine Maske tragen will und wann nicht?
Oder das Dunkle im Fasching, die Schatten. Denn natürlich sind wir nicht alle lieb und gut – und schon gar nicht immer. Aber gestehe ich mir auch meine Schattenseiten ein? Akzeptiere ich Wut, Aggression oder gar Hass – und finde ich einen sinnvollen Umgang für mich und im Umgang mit anderen? Welchen Draht habe ich zu den Monstern, Hexen, Seeungeheuern, Henkern und Waldschraten, die in mir hausen? Wie integriere ich diese bedrohlichen Wesen, meine dämonischen Gefühle? Die doch so menschlich sind, zum Mensch-Sein gehören und so viel Schutz und Kraft für mich sein können.
Ja, und dann die Narretei. Oh, wie schön! Niemand will nicht heiter sein.
All das fördert Kreativität und Innovation in Unternehmen.
Wenn Prinzessinnen mit Monstern feiern, Dämonen mit Pippi Langstrumpf, dann ist klar: Alles darf SEIN! Alles fliesst, alles verbindet sich. Alles gehört dazu, ohne Wertung. Im Alltag könnten wir uns dann fragen: Wie schaffen wir es, dass alles sein darf? Wie nutzen wir Vielfalt? Wie erfreuen und verbinden wir uns mit den unterschiedlichsten Menschen? Und: Wie agieren wir auf Augenhöhe? Denn im Fasching sind alle gleich. Wer’s nicht glaubt, dem wird der Schlips abgeschnitten. Das wäre auch ein guter Ansatz in Unternehmen:
Fasching und Fastenzeit, das sind tradierte Rhythmen im Jahr. Auf der einen Seite Fülle, Freude, Feiern, auf der anderen Seite Kargheit, Diszipliniertheit, Zurückhaltung. Das ist gewachsenes Brauchtum, das macht Sinn. Daran lässt sich auch nicht rütteln, denn es sind Zyklen im Leben.
Ich möchte nur anregen. Nämlich dazu, Fasching in unser tägliches Leben zu integrieren. Das Helle und Dunkle, Schrille und Leise, all das als Feier des Lebens. Nicht nur an ein paar Tagen im Jahr. Es wäre doch viel zu schade, den ganzen Reichtum, die ganze Freude und Ausgelassenheit aus dem übrigen Jahr zu streichen.
Die wir das ganze Jahr in uns verbergen, aber doch so dringend brauchen … Im Dämonischen steckt Kraft, Mut und Entschiedenheit. Und das sind Eigenschaften, die man braucht, will man in der manchmal nicht nur „gut gesinnten“ Arbeitswelt oder in Beziehung mit nicht nur „fairen Menschen“ nicht untergehen.
Wenn dein Chef kurz vor Feierabend sagt „Sie erledigen hier noch diese Präsentation bis morgen!“ und du spürst, dass für dich hier eine Grenze erreicht ist, weil das nun das fünfte Mal in zwei Wochen ist, weisst du, was dein Dämon in dir dann Deinem Chef sagt? Der sagt nicht: „Natürlich Chef, klar Chef, ja, dann mache ich das auch noch, Chef!“ Dein Dämon in dir sagt ganz einfach: „Nein!“
Du kannst dich also bei deinem Dämon bedanken, er gibt Dir Hinweise zu Deinen Grenzen, er kann anderen gegenüber Grenzen aufzeigen, er kann Dich schützen und aus mancher Situation „retten“. Dazu musst du ihn aber in dein Leben einladen.
Ich sende dir herzliche Grüsse,