ich habe nicht schlecht gestaunt über deinen Brief – du willst keine Führungskraft mehr sein? Das erweckte in mir den Eindruck, als ob du mitten im Führungskraft-Marathon anhältst. Oder gar das Rennen verlässt.
Nach der ersten Überraschung musste ich mir dann eingestehen: Du bist nicht die erste Führungskraft in meinem Umfeld, die mit diesem Gedanken spielt. Viele hochmotivierte und unglaublich engagierte Führungskräfte wollen und können nicht mehr. Ihnen geht die Luft aus. Sie haben nicht mehr den Sauerstoff, den sie brauchen, um mit ihrer Arbeit erfolgreich und fokussiert die Unternehmung „im Rennen zu halten“.
Dafür habe ich Verständnis. Und möchte dich doch bitten, noch einmal innezuhalten: Denn ich kann dir mit großer Sicherheit sagen, dass das nicht alleine an dir liegt.
Auf der einen Seite musst du dir als Führungskraft deine „Luft“ nehmen – du brauchst aber eben auch den Raum zum Atmen. Und genau daran mangelt es oft auf der Unternehmensseite: Dort wird Führung bis heute viel zu oft als „Beiprodukt“ gesehen, das du „doch sicher nebenher“ bewältigen kannst. Pustekuchen! Deine Lungen arbeiten auch nicht nebenbei, sondern als Ergebnis einer komplexen Dauerversorgung durch deinen Geist und Körper.
Sonst stranguliert sie dich irgendwann: unten die Mitarbeiter, die du mitnehmen sollst, deren Konflikte du lösen sollst, deren 360-Grad-Feedbacks du ernstnehmen musst. Oben wiederum deine Führungskraft oder dein Vorstand, die Ergebnisse sehen wollen, die Topqualität erwarten, die dich, deine Arbeit und Leistung beobachten und bewerten. Und dazwischen zischt dir die letzte Luft aus den Lungen unter dem Druck von allen Seiten. Durchatmen? Fehlanzeige.
Weil bei dir als Führungskraft das Gefühl ankommt: Du musst, du musst, du musst. Wie lange soll das gut gehen?
Bitte beende diesen erschöpfenden Dauerlauf, bei dem du um Luft ringen musst und dir gleichzeitig die Nase zuhältst. Bei dem du alles möglich machen musst und quasi das Universalgenie unserer Zeit sein möchtest. Bei dem dir über kurz oder lang tatsächlich die Luft ausgeht. Und mache dir klar: Du läufst jeden Tag über so viele Ziellinien. Also hast du auch die Siegerehrung, die entsprechende Wertschätzung verdient!
Von deinem Unternehmen – aber vor allem eben auch von dir selbst.
Bitte gönn dir heute einen Tag, an dem du mal wieder stolz auf deine Leistung als Führungskraft bist. Und auf die Schritte und das Engagement, die dich dorthin gebracht haben. Einen Tag, an dem du mal wieder tief durchatmest. Wenn du dich danach immer noch entscheidest, dass du nicht länger Führungskraft sein möchtest, dann hast du den Lauf zumindest aus den richtigen Gründen beendet.
Meine Unterstützung hast du!