ich finde es toll, dass du deinen Mitarbeitern mehr und neue Freiheiten geben und sie zu mehr Eigenverantwortung ermutigen möchtest. Mich persönlich zieht dieser Gedanke auch sehr an. Ich bin ein absoluter Fan der neuen Arbeitswelt. Wie du glaube auch ich, dass auf diese Weise Innovation und Beitrag möglich sind. Dass dahinter unternehmerische Motive wie Gewinn, Wertschöpfung und Zahlen stecken, ist natürlich richtig. Dieser Aspekt ist in meinen Augen auch nichts Verwerfliches, denn nur so können Unternehmen auch ihre volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Allerdings habe ich auch einen kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.
Freiheit und Eigenverantwortung sollen Mitarbeitern ermöglichen, ihren Beitrag für das Unternehmen zu erbringen. Und das tun sie bekanntlich am besten, wenn sie einen Sinn in diesem Beitrag sehen, Selbstwirksamkeit erleben und handlungsfähig sind. Zumindest für viele. Nun kommt diese enorme Welle an Ideen, Gedanken und Methoden, wie Führungskräfte und Mitarbeiter diese Freiheiten umsetzen sollen. So weit, so gut. Nur: Da entsteht ein ideeller Hype. Und ich kann nicht entdecken, dass Unternehmer die Schattenseite dieser Welle „neue Arbeitswelt“ sichtbar machen.
Was ist mit Mitarbeitern und Führungskräften, die nicht wollen und können? Selbstverantwortung hört sich gut an, aber es gibt eine ganze Menge von Menschen, die lieber nur das machen, was sie bisher auch machen sollten, die Angst haben, Entscheidungen zu treffen. Oder aber Menschen, die einen ganz anderen Bezug zu Arbeit haben und sich sagen: „Ich verdiene hier mein Geld und gut ist.“ Was ist mit den Mitarbeitern, die Eigenverantwortung und Freiheit voll ausnutzen? Die im Home-Office bei einem Tässchen Kaffee die Beine hochlegen und Zeitung lesen. Und doch wollen die meisten Unternehmen all diese Menschen auf einen Schlag „abholen“.
Daher ist und bleibt für mich die Frage: Wann werden die Grundhaltungen und Einstellungen der Mitarbeiter endlich diskutiert? Das Wichtige, die Grundhaltung, wird auf der Welle „neue Arbeitswelt“ wieder nicht thematisiert, sondern bloß umschifft. Wieder einmal glauben viele Unternehmer und Führungskräfte, ihre Mitarbeiter brauchen nur die richtigen Methoden, Instrumente und Regeln. Dann sind alle motiviert und bringen Höchstleistungen. Sie vergessen:
Lieber Xaver, für diese Welle brauchst du Menschen, die die Chance hatten, eine entsprechende Grundhaltung und Identität zu entwickeln oder aber in der Lage sind, unter bestimmten Rahmenbedingungen diese Einstellung zu fördern. Nicht alle Menschen haben das Glück, eine bestimmte Biografie erlebt und belohnte Selbstwirksamkeit und Engagement erfahren zu haben. Nicht alle haben die nötige Grundhaltung, das Selbstvertrauen und die Selbstreflexion erlernen können und dürfen.
Ich möchte betonen: Das sagt nichts über den Wert der Menschen oder das Bildungsniveau aus. Ich kenne hochintelligente, promovierte Menschen, die erstarren, weil sie Angst haben, eine Entscheidung zu treffen. Umso mehr wünsche ich mir ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit jener, die das können und diese Grundhaltung erlernen durften, statt des dreisten Ignorierens anderer Lebensläufe. Ihren Einstellungen, Fähigkeiten und Vorstellungen entspricht die neue Arbeitswelt bereits, sie haben Freude daran, sich weiterzuentwickeln.
Frage dich: Welche Rahmenbedingungen gibst du deinen Mitarbeitern denn für ihre persönliche Entwicklung? Und ich meine eben nicht einen Kasten an Tools. Lieber Xaver, du weißt, dass sich die Arbeitswelt ändern wird und muss. Aber ich wünsche mir, dass du dich dabei mehr mit der Grundhaltung der Mitarbeiter und Führungskräfte aller Hierarchien beschäftigst, dass du sie im Unternehmen endlich thematisierst.
Dann ermöglichst du dir und deinem Unternehmen genau die Innovationen und Beiträge, die ihr anstrebt.