Hut ab, dass du mir so ehrlich über deine Versagensangst geschrieben hast. Sich diese Angst als Führungskraft einzugestehen – das ist gar nicht leicht. Denn neben der Versagensangst erlebst du in deiner Position täglich so viele Ängste! Die Digitalisierung kommt, der Markt wird härter, die Kundenanforderungen undurchsichtiger … und dann noch diese gemeine Versagensangst on top, das gleicht fast schon einer bunten Spielekiste, in der für jeden die richtige Angst dabei ist.
Denn zunächst ist diese Spielekiste der Ängste gar nichts Schlimmes. Nehmen wir deine Versagensangst: Sie veranlasst dich, hervorragende Leistung zu erbringen. Sie spornt dein Durchhaltevermögen an, sie motiviert dich zu höchster Zuverlässigkeit. All dies sind Erfolgsfaktoren im Spiel des Berufs.
Doch nimmt deine Versagensangst dich in Besitz, ergreift sie die Spielleitung, dann kippt das System. Denn du eröffnest das Spiel nicht länger mit deinem persönlichen Wunsch, das Unmögliche möglich zu machen.
Vielleicht kennst du dieses Verhalten wiederum von deinen Vorgesetzten: Aus deren eigener Versagensangst heraus sollen auf einmal alle anderen eine ebenso enorme Leistungsbereitschaft zeigen. Sie sollen abends und am Wochenende E-Mails bearbeiten. Sie sollen im Urlaub erreichbar sein. Sie sollen unter dem Arbeitsvolumen nicht zusammenklappen, sie sollen nicht nein sagen, sie sollen – ja, sie sollen keine „Versager“ sein.
Es ist nicht das System als solches, nicht das Spiel an sich. Sondern der, der die Spielregeln macht. Und in diesem Fall ist das der Mensch, der seine Versagensangst zum Spielleiter aufsteigen lässt. Liebe Verena, lass es nicht so weit kommen.
Deine eigene Versagensangst kannst nur du individuell bearbeiten. Das ist ein Teil persönlicher Entwicklung und Selbstführung, das ist Selbstverantwortung! Denn welche Ängste sich in deiner Spielekiste herumtreiben, das kannst nur du entscheiden.
Darum schau in deine Spielekiste der Ängste. Schau nach, warum die Versagensangst ganz obenauf liegt. Warum sie zu dir gehört. Und wie du einen gelingenden Umgang mit ihr finden kannst.
Ich persönlich verabrede mich regelmäßig mit meinen Ängsten zum Spieleabend. Auch die Versagensangst sitzt dann mit am Tisch. Und wir trinken zusammen ein Glas Rotwein. Dazu lade ich meine Ängste ganz bewusst ein und verbinde mich mit ihnen. Denn um einige davon bin ich sehr dankbar. Meine Todesangst zum Beispiel hält mich zurück, aus dem Auto zu steigen, wenn ich wie vergangenes Jahr Tiger in Indien beobachte. Sie möchte ich gerne noch lange in meiner Spielekiste behalten.
Ich wünsche dir Glück im Spiel, liebe Verena!