wenn dein Chef sagt, ihr seid eine „lernende Organisation“, dann gehen bei mir die Alarmglocken an: Achtung, Achtung, Totschlagargument! Denn was heißt das in dem Fall schon? Wir sind eine lernende Organisation, also machen wir munter weiter Fehler, machen Pläne die unrealistisch sind und wenn jemand seine Bedenken anbringt, dann wird das mit dieser Entgegnung vom Tisch gewischt – wir lernen ja daraus?
Weißt du, ich reagiere auf diesen Modebegriff „lernende Organisation“ ja gerne ein etwas „bissig“: „Stopp, da bin ich als Blondine raus!“
Weil ich nicht glaube, dass es eine lernende Organisation gibt.
Das ist geradezu ein Zornthema von mir. Denn ich finde den Begriff absurd. Wer lernt denn in einer lernenden Organisation? Der Tisch, das Gebäude, der Prozess, das Fenster? Nein, es sind die Menschen in den Organisationen, die lernen und wachsen sollen! Durch den unlogischen Begriff der lernenden Organisation treten sie jedoch völlig in den Hintergrund. Und wenn ich dann zum Coaching komme, fehlt die Antwort auf die wichtigste Frage: Was sollen die Menschen in der Organisation eigentlich lernen? Da kommen dann so Allgemeinsätze wie – Veränderungsbereitschaft, Agilität, Unternehmertum, usw. oder das große Schweigen. Ich möchte wetten, das ist auch bei euch noch nicht klar – was konkret sollen die Menschen denn lernen und wofür sollen sie das lernen und in welche Richtung will die Organisation sich konkret entwickeln.
Versteh mich bitte richtig: Dass in Unternehmen gelernt werden soll und muss und sie an der Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter interessiert sind, davor habe ich größten Respekt und Hochachtung. Denn es zeigt, dass sie sich Gedanken über Veränderungen machen und danach streben, auch in Zukunft am Markt zu bestehen. Dafür Hut ab!
Was mich stört, ist, dass in vielen Organisationen die Rahmenbedingungen für diesen Lernprozess bei den Mitarbeitern fehlen. Was braucht es denn für Grundlagen und welches Verständnis, damit Menschen wirklich lernen können? Darum fordere ich dich auf:
Lass uns den Begriff „lernende Organisation“ zu Grabe tragen!
Stattdessen solltest du in deinem Team Wert auf das legen, was Menschen beim Lernen tatsächlich voranbringt:
- Menschen lernen aus Erfahrung – und Erfahrung heißt experimentieren, ausprobieren, Neues sehen. Im Unternehmen bedeutet das für euch: Verabschiedet euch vom Perfektionismus. Der erste Wurf muss noch nicht der finale sein. Im Gegenteil: Ihr lernt daraus, wie gut er funktioniert – oder eben auch nicht. Womit ich auch schon bei Punkt 2 wäre:
- Menschen lernen aus Fehlern. Nun ist der Begriff der Fehlerkultur ja bereits in vielen Organisationen angekommen. Was ich beobachte, ist allerdings eine Kultur der Schuldsuchenden. Wenn etwas schiefgeht, lernt niemand daraus, der Fehler wird totgeschwiegen und falls er dummerweise doch ans Tageslicht tritt, suchen alle mit viel Energie nach dem Verursacher. Viel sinnvoller wäre es doch, sich über jeden Fehler zu freuen! Und wenn ihr euch in deiner Organisation damit schwertut, probiert es spielerisch: Prämiert jeden Monat die drei besten Fehler – und schaut, was ihr daraus gelernt habt!
- Menschen lernen, wenn sie reflektieren können. Denn eine Organisation kann noch so viele „Lessons Learned“ durchführen, die dann eben einfach zu „Success Storys“ gebastelt werden, weil sich niemand wirklich die Zeit nimmt oder es „besser“ ist , einen Erfolgstory zu „verkünden“ – sie helfen rein gar nichts! Genau das ist die Zeit, in der es gilt wirklich zu schauen, was ist uns gut gelungen und wo haben wir Fehler gemacht. Wie und was lernen wir daraus für die Zukunft? Wie werden wir diese Erfahrung anderen Menschen in der Organisation zur Verfügung stellen? Was war in dieser Situation hilfreich? Wie können wir in Zukunft reagieren, wenn ein ähnlicher Fall auftritt? Erst aus dieser Reflexion entsteht der Lerneffekt.
- Menschen lernen, wenn sie in diesem Prozess unterstützt werden. Ich erzähle dir vermutlich nichts Neues, wenn ich dir sage, dass sich schon mehr als ein Manager von mir eine „Druckbetankung“ seiner Leute gewünscht hat. Leute in einen Meetingraum packen, Seminarleiter dazugesteckt, Tür zu, fertig. Fertig im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Lerneffekt ist nur dann ein dauerhafter, wenn Menschen einen wirklichen Praxisbezug erleben, sich einbringen können, üben, ausprobieren. Alternative Verhaltensweisen und Perspektiven zu ihren heutigen Handlungsweisen spüren und Rückmeldung erhalten. Vermittlung von „Werkzeugen und Tools“ sind jedoch meist der Schwerpunkt der Druckbetankung und dann wundert man sich, dass sich im Arbeitsalltag nicht ändert – wie denn auch? Und: Wie sehr sind Möglichkeiten des Lernens in der Praxis wirklich verankert – kollegiale Beratung, klare Rückmeldungen etc.
- Menschen lernen, wenn sie sich mit Veränderungen auseinandersetzen. Das kennst du sicher von dir selbst: Wenn Veränderungen dein Lebenskonzept über den Haufen werfen, bringt das innere Konflikte und viel Unsicherheit mit sich. Im privaten Kontext kannst du nun über den Umgang damit entscheiden. Was lässt du los, welche Fähigkeiten brauchst du jetzt, wie verändert sich deine Rolle? Und das gleiche Bedürfnis haben lernende Menschen in einem Betrieb. Lernen können sie also dann, wenn ihnen die Gründe für Veränderungen in der Organisation bewusst sind, sie es tatsächlich verstehen können und sie wissen, wofür sie sich entwickeln sollen und ihr Mindset neu ausrichten.
- Menschen lernen, wenn sie lernbereit sind. Das mag banal klingen, ist jedoch ein wesentlicher Faktor. Denn wenn manche in deinem Team vor neuen Anforderungen die Augen verschließen, dann liegen Galaxien zwischen den kognitiven Voraussetzungen und einer wirklichen Entwicklung. Das ist oft ein Tabuthema in Unternehmungen – Menschen, die keine Lernbereitschaft haben.
Lieber Markus, ich wünsche dir und deinen Kollegen, dass ihr den Mut habt, nicht länger eine „lernende Organisation“ zu sein und diesen „sinnfreien Begriff“ aus eurem Wortschatz nehmt und das benennt, was es braucht: Menschen lernen in Organisationen! Sondern dass ihr hinschaut, wo jeder einzelne von euch seinen Lernanteil hat. So könnt ihr herausfinden, wie die Menschen in eurer Organisation lernen können. Und der Erfolg dieser Organisation ist dann auf das begründet, was es ausmacht: Die Menschen, die sich einbringen können und wollen!
Alles Gute wünscht dir
1 Comment
Hallo Antje,
finde ich gut und passend, weil Lernen als Entwicklungsprozess verstanden, dem Einzelnen weiterhelfen kann. Danke für den guten Beitrag. Ich werde ihn nutzen.
Wir stecken gerade mitten in einem Wachstumsprojekt und ringen um unsere Kultur. In dem Zusammenhang habe ich denn auch zwei „Ich weiss was“ Anmerkungen.
Was sich nach meiner Ansicht nach lohnen würde, ist die Rolle des „Managements“ zu betrachten.
Und die Frage nach dem Rahmen zu stellen, der Entwicklung möglich macht.
Liebe Grüsse
Andreas