Zwischen Mindestlohn und Altersarmut: Willkommen in der Welt des Geizes!

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Zwischen Mindestlohn und Altersarmut: Willkommen in der Welt des Geizes!

Antje Bach, Blog, Geiz, Unternehmen, Mindestlohn, Armutsgrenze, Unternehmer

ich muss schon sagen: Dein Brief hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Aus unternehmerischer Sicht kann ich natürlich verstehen, dass dich die Debatte um die Lohngrenze und den Mindestlohn nachhaltig beschäftigt. Was du allerdings in meinen Augen nicht oder zu wenig bedenkst, ist die Tatsache, dass am anderen Ende deiner Lohn- und Budgetentscheidungen ein Mensch steht.

Aber vielleicht sollte ich dir zunächst einmal auseinanderzusetzen versuchen, wie ich auf diesen Gedanken komme. Sicherlich erinnerst auch du dich noch an den Werbeslogan „Geiz ist geil“. Ich jedenfalls fühlte mich an den Anfang der 2000er Jahre zurückversetzt, als ich deinen Brief las. Und wieder einmal fiel mir auf:

Geiz ist nicht geil, sondern ein Mangel.

Mit „Geiz ist geil“ trat Saturn einen Trend los, der bis heute sein Unwesen treibt. Wir wollen alles, doch kosten soll es uns nichts. Wir wollen Hähnchenschenkel für 2 Euro und nach London fliegen für 10. Wir möchten also eine Leistung erhalten, aber im Idealfall nichts für sie zahlen. Alles muss noch billiger werden und das wird zur Selbstverständlichkeit. Die Frage ist: Wer bezahlt für unseren Geiz?

In der Regel „die anderen“. Und die waren – sowohl gedanklich als auch geographisch – bis dato immer weit weg. Denn erbringen mussten die Leistungen Menschen in Indien, Kambodscha etc., die weit unter dem hierzulande definierten Mindestlohn vergütet werden. Nur damit wir günstige T-Shirts und Röcke tragen können. All dies war weit weg – außerhalb unseres Aufmerksamkeitsfeldes. 

Doch nun wendet sich das Blatt immer mehr: Jetzt ziehen die Konsequenzen unserer vom Geiz gesteuerten Lebensweise auch bei uns ein. Wir sind umgeben von Jobs an der Lohngrenze, Altersarmut, begrenzte Arbeitsverträge, ausbeutende Minijobs und so weiter und so fort … Willkommen in der Geizwelt! Unser Verhalten wirkt sich immer mehr auf unser eigenes Leben aus. Und der „geile Geiz“ ist ein gedanklicher Bumerang.

Wir geizen still und heimlich vor uns hin und magern dabei immer mehr ab.

Und das, liebe Petra, gilt nicht nur im wirtschaftlichen und finanziellen Sinne. Denn unser Geiz spiegelt sich auch in unserer Gefühlswelt wider und kommt als Engherzigkeit zum Vorschein. Wir schenken uns gegenseitig keine Wertschätzung, leben keine Achtsamkeit aus, begegnen anderen kaum mehr mit Menschlichkeit. 

Wenn ich geize, muss ein anderer immer dafür bezahlen. Das ist der theoretisch benannte Wertewandel, den wir jetzt praktisch zu spüren bekommen. Geiz und Habgier stellen nicht umsonst eine der sieben Todsünden dar. Und nichts anderes als Gier ist Geiz im Umkehrschluss. Gier, die in den verschiedensten Formen und Wandungen auftritt: Gewinngier, Machtgier, Raffgier.

Wie ich eingangs bereits schrieb, kann ich deinen wirtschaftlichen Standpunkt selbstverständlich verstehen, liebe Petra. Allerdings solltest du in deiner Sparsamkeit immer die Balance zu halten suchen. 

Wie weit sparst du und ab wo nimmst du anderen die Chance, zu leben?

Versetze dich einmal in die Perspektive der „anderen“ und frage dich: Was wird aus dir, wenn der Geiz bei dir, bei deinem Arbeitsplatz ankommt? Und wo lebst du umgekehrt bewusst Großzügigkeit? 

Vor einigen Wochen erzählte mir ein gut verdienender Manager hocherfreut, dass er mit Ryanair für 20 Euro nach London fliegt. Er unterstützt damit genau diesen Wertewandel, in dem wir eine Todsünde als Wert verkaufen, und propagiert damit: Geiz ist geil. Entgegen seiner Erwartung rief seine Erzählung in mir jedoch nur Empörung hervor: Kann er sein vieles Geld nicht so ausgeben, dass andere auch etwas davon haben?

Wenn Menschen mit wenig Geld auskommen müssen oder gar an der Armutsgrenze leben, habe ich vollstes Verständnis dafür, dass Sie auf jeden Cent achten. Dass Sie unter Umständen im Internet surfen und schauen, wo sie eine Bluse 2 Euro günstiger bestellen können. Aber wenn besagter Manager hingegen das nötige Kleingeld zur Verfügung hat – warum dann nicht ein gutes Trinkgeld geben für einen tollen Service? 

Warum dann nicht beim teureren Bauernmarkt kaufen statt im Discounter?

Ich hoffe, ich konnte dir mit meinem Brief ein wenig des Blick schärfen, den du auch einmal auf die andere Seite der Medaille werfen solltest. Und würde mir wünschen, dass mehr Menschen genauer überlegen, was ihr (Kauf-)Verhalten in unserer Welt bewirkt.

2 Comments

  1. Lutz E. Faßbender sagt:

    Ein, wie immer, großartiger Beitrag, der die gesellschaftspolitische Schieflage in einer Wohlstandsgesellschaft beschreibt, bei der „Wohlstand“ immer mehr „Wohlstand für wenige“ statt „Wohlstand für alle“ bedeutet und die Diskussion immer stärker gegen die geht, die eh wenig oder gar nichts haben, während jene, die die Vermögen scheffeln sich immer mehr in ihren Elfenbeintürmen einmauern und denken, auf diese Weise die Realität ausblenden zu können. Danke Antje!

    • Heidi Erika Hächler sagt:

      Hallo Antje
      Man kann den Geiz-Verhalten beliebig erweitern: UBER statt geprüfte Taxis. (es spielt ja keine Rolle ob dadurch -zig Fahrer in ihrer Existenz bedroht werden. Vor allem werden die UBERS von Fahrgästen aus den ****- und*****-Hotels bestellt!) – einkaufen bei Lidl und Aldi statt Bauernmärkte… , Einkaufen im preiswerteren Ausland – ist ja egal ob der Dorfladen schliessen muss – Gratis -Fremdenführer statt ausgebildete Gästeführer. Ob das Verhalten der „Geiz-ist-Geil“- Anhänger ganze Berufszweige schädigen ist diesen Egoisten egal – Hauptsache sie profitieren! Sie vergessen – Geiz zerfrisst die Seele!

      Danke Antje, du hast da in ein Wespennest gestochen!

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