dass du es überhaupt nicht mehr zeitgemäß findest, an Allerheiligen an die Heiligen der Vergangenheit zu denken, würden sicher viele Menschen genau so unterschreiben. Dieser Tag ist nicht eine „Errungenschaft“ kirchlicher Institutionen, sondern die eigentliche Idee dahinter findet sich in zahlreichen Kulturen. Ich mag den tieferen Gedanken dieses Feiertags:
Denn alles, was wir heute haben, ist aufgebaut auf dem Verdienst unzähliger Menschen der Vergangenheit. Vieles ist heute nur möglich, weil andere Generationen, unsere Ahnen, dafür gearbeitet und auch teilweise gelitten haben. Das sollte eigentlich Grund genug sein, einmal innezuhalten und den Blick statt immer nur in die Zukunft, auch mal in die Vergangenheit zu richten.
Natürlich haben unsere Ahnen auch nicht alles perfekt gemacht – da möchte ich dir, liebe Christine, natürlich nichts vormachen. Auch sie waren einfach Menschen. Doch immer nur auf die Kriege und Fehler unsere Großeltern und Eltern zu schauen, wäre unfair. Denn so verschließen wir unseren Blick vor dem vielen Positiven, was diese Menschen für uns geschaffen haben. Die Frauenrechte beispielsweise. Ohne die Suffragetten könnten wir Frauen nicht mal zur Schule gehen und es gäbe heute auch keine #MeToo-Debatte. Meine Mutter brauchte zum Beispiel noch die Erlaubnis ihres Mannes, dass sie arbeiten gehen durfte. Heute unvorstellbar! Deshalb frage ich mich:
Und nicht nur die Frauenrechte haben wir unseren Ahnen zu verdanken. Christine, denk nur mal an die Demokratie, den Wohlstand und den Frieden, den wir heute in unserer Kultur erleben dürfen. Wenn wir auf die deutsche Geschichte schauen, kommt immer zuerst: Nationalsozialismus und Hitler. Aber es gab doch auch Menschen in der deutschen Geschichte, die Frieden geschaffen haben! Leute, die Widerstand geleistet und ihr Leben hingegeben haben, um gegen ein System zu kämpfen. Das alles ist auch der Verdienst deiner Ahnen.
Für mich ist solch ein Mensch Coco Chanel. Sie hat uns Frauen aus dem Korsett geholt und in Hosen gesteckt. Auch einer alten Lehrerin von mir bin ich sehr dankbar. Ich war in der Schule nämlich eine wahre Spätzünderin – und bin nach der Grundschule auf der Hauptschule gelandet. Besagte Lehrerin hatte einen besonderen Blick auf mich und ging eines Tages zu meinen Eltern und sagte: „Ihre Tochter ist hier falsch.“ Damit ermöglichte sie mir, einen Test zu machen und ich bin von der Hauptschule aufs Gymnasium gewechselt.
Für diese Lehrerin bin ich noch heute so dankbar, denn ohne sie wäre mein Leben vollkommen anders verlaufen! Ich bin auch Goethe dankbar für seinen Faust I – da steht alles drin, was man fürs Leben wissen muss!
Ich habe das Buch sicher schon 45 mal gelesen! Danke dafür, Wolfgang. 😉
Egal, wer oder was es bei dir ist, Christine, in jedem Leben gibt es Dinge für die derjenige dankbar ist. Ob du nun an Allerheiligen an diese Personen denkst oder an jedem anderen Tag im Jahr, bleibt natürlich dir überlassen. Worüber du dich auf jeden Fall freuen kannst, ist eine weitere Sichtweise auf deine Vergangenheit. Ich wünsche dir viel Freude daran.